voriges Kapitel

zurück zur Gesamtauswahl

nächstes Kapitel

Die jüdische Gemeinde Laupheim und ihre Zerstörung

Gedenkbuch Seiten 196 - 203 

ERLEBACHER, Alfred,

Seifensiederei, Judenberg 2

 

DR . ANTJE H LE RSCH MI DT

Alfred Samuel Erlebacher, geb. 10.8.1897 in Diedelsheim, Kaufmann, OO Rosa Erlebacher, geb. Wertheimer, geb. 30.10.1897 in Kippenheim.
   Albert Erlebacher, geb. 28.9.1932 in Ulm. Emigration der Familie am 31.10.1937 nach Milwaukee in Wisconsin/USA



(„Laupheimer Verkündiger“ vom 5. 5. 1928)

Die Hinterbliebenen, die gemeinsam den Tod des Vaters Abraham Erlebacher am 4. Mai 1928 im Laupheimer Verkündiger“ in einer großformatigen Anzeige vom 5. Mai 1928 bekannt gaben, waren der Sohn Alfred Erlebacher und seine beiden älteren Schwestern Bella Levy und Sophie Einstein, beide geborene Erlebacher. So weit möglich wurde die Lebensgeschichte von Bella Levy unter ihrem eigenen Namen dargestellt, da ihr Mann Lucien Levy bereits im Ersten Weltkrieg gefallen war. Von ihrer jüngeren Schwester Sophie wird im Gedenkbuch im Zusammenhang mit ihrem Ehemann Ludwig Einstein erzählt.

Da die Mutter der drei Geschwister, Pauline Erlebacher (5. 11. 1862 bis 22. 8.1922), eine geborene Heilbronner war und aus Laupheim stammte, soll an dieser Stelle auch auf die Artikel zur Familie Heilbronner hingewiesen werden.

Der einzige Sohn Alfred Samuel wurde als viertes und letztes Kind seiner Eltern Abraham und Pauline Erlebacher, geborene Heilbronner, am 10. August 1897 in Diedelsheim bei Bretten in Baden geboren, wo die Familie zu jener Zeit lebte. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts zog sie nach Laupheim um. Anlass für den Umzug könnte der Tod von Pauline Erlebachers Vater Emanuel Heilbronner am 29. Juli 1903 in Laupheim gewesen sein. Dieser hatte in seinem Haus auf dem Judenberg 26 in Laupheim eine Seifensiederei betrieben. Nach dessen Tod führte sein Schwiegersohn Abraham Erlebacher den Familienbetrieb fort und das Haus wurde Wohnsitz der Familie.

Eine Aufnahme der jüdischen Volksschulklasse mit ihrem Lehrer Haymann aus dem Jahr 1904, auf der Sophie und Alfred Erlebacher abgebildet sind, belegt diese Annahme. Ein Foto von den anderen Schwestern Bella und Hermine Erlebacher fand sich leider nicht. Bereits im Jahr1907 starb Alfreds sechs Jahre ältere Schwester Hermine im Alter von erst 16 Jahren und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Laupheim beerdigt.

Sophie Erlebacher, Jul. Levigard, Jul. Regensteiner. Alfred Erlebacher als Realschüler.

    

 

 

Alfred Erlebacher.

 

Über die weitere schulische Ausbilung der Geschwister war nichts mehr in Erfahrung zu bringen. Es ist anzunehmen, dass Alfred nach der Schule in das väterliche Geschäft eingetreten war und ebenfalls eine Ausbildung zum Seifensieder und im Kaufmännischen durchlief. Als zwanzigjähriger junger Mann rückte er als Landsturmgefreiter am 15. November 1917 nach Geislingen bei Stuttgart ein, um im letzten Kriegsjahr des Ersten Weltkrieges an der Westfront zu kämpfen. Nach seiner Rückkehr trat er wie die meisten seiner israelitischen Kameraden dem Reichsbund jüdischer Frontsoldaten bei. Er war dann auch wieder im elterlichen Betrieb „Emanuel Heilbronner Seifensiederei Inhaber Abraham Erlebacher“ tätig. Während jener Zeit besaß die Firma ein Auto der Marke Fiat und beschäftigte vom 8. November 1926 bis zum 1. Oktober 1927 Alois Ruf als Chauffeur, der im Anschluss zu einem anderen jüdischen Arbeitgeber in Laupheim, nämlich Karl Wallach, wechselte. Wie heute üblich wurde dem Beschäftigten Alois Ruf ein Arbeitszeugnis von seinen Arbeitgebern ausgestellt, das oben abgedruckt ist. Es dokumentiert eine wie selbstverständlich erscheinende jüdisch-christliche Koexistenz zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die gerade ür Laupheim eine nennenswerte Rolle spielte.

 

Die Anzeige auf der nächsten Seite aus dem Laupheimer Verkündiger“ vom 9. August 1930 warb mit dem HinweisJede Hausfrau muß mit dem Pfennig rechnen. Sparen ist daher das Gebot der heutigen schweren Zeit“, womit auf die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise 1929 Bezug genommen wurde.

Judenberg 2. 

Die mit ihr verbundene stetig steigende Arbeitslosenquote erreichte 1930 in Deutschland bereits 15,7 %. Doch auch in anderer Hinsicht ist die Annonce interessant, zeigt sie in großer Breite das Warenangebot der Seifensiederei, das sich auf Wasch- und Bügelartikel aber auch Fettwaren und Öle erstreckte.

Auf dem Foto des Hauses, das aus der Zeit nach 1928 stammen muss, da auf der Hausaufschrift als Inhaber bereits Alfred Erlebacher angeführt ist und er es offiziell laut Amtsgerichtsbeschluss im November 1929 übernommen hatte, erscheint das Geschäft angesichts der Fülle der Angebote recht klein. Da fotografische Aufnahmen zur der damaligen Zeit noch immer etwas Besonderes darstellten, ist davon auszugehen, dass die beiden Personen vor dem Haus zum Geschäft gehörten. Ob es sich um Alfred und seine Frau Rosa Erlebacher handelt, ist jedoch nicht sicher, aber sehr wahrscheinlich.

Alfred Erlebacher heiratete am 4. April 1932 in Laupheim Rosa Wertheimer, die am 30. Oktober 1897 in Kippenheim als Tochter von Lina und Maier Wertheimer, geborene Weil, geboren worden war. Ihr gemeinsamer Sohn Albert kam bereits fünf Monate später im September 1932 in Ulm zur Welt.

Die Quellenlage zu den folgenden Jahren ist spärlich. So erlebte die Familie Erlebacher wie alle anderen Laupheimer Juden die rasante Machtausweitung der Nationalsozialisten, die mit der Ausgrenzung und zunehmenden Entrechtung der jüdischen Deutschen einherging, deren Gefahr die Erlebachers wahrnahmen. Im Oktober 1937 emigrierten Alfred und Rosa Erlebacher mit dem fünfjährigen Albert in die USA. Der Verkauf ihres Hauses an den Fuhrmann Theobald Lemmermeyer ging formell im November des Jahres von statten. Was mit ihrer Seifensiederei, dem Handel mit chemisch-technischen Produkten, Ölen, Fetten und Waschartikeln passierte, ist wie so manches aus ihrem Leben nicht überliefert. In keiner der nach dem Krieg zur Arisierung erstellten Listen taucht der Name der Firma auf. Unter diesen Umständen ist zu vermuten, dass eine Auflösung des Geschäfts stattgefunden hatte.

Als die Familie Erlebacher 1937 in die Emigration ging, war es ihnen noch möglich, einen großen Teil ihres Hausrates mit Möbeln und Haushaltswaren mit der Spedition Barr, Moering & Co. G.m.b.H. Stuttgart über Rotterdam per Schiff nach New York zu verladen. Eine Liste gibt Einblick in die akribisch aufgelisteten Besitztümer der Familie Erlebacher, die vom Stadtrat Dilger im Auftrag des Bürgermeisters Marxer abgezeichnet wurde, was klar als Kontrolle durch die nationalsozialistischen Machthaber zu verstehen ist.

Den modernen technischen Möglichkeiten des Internets und der tatkräftigen Unterstützung durch Dr. Yitzhak Heinrich Steiner ist es zu verdanken, dass eine umfangreiche Korrespondenz zwischen Rosas Eltern, Lina und Maier Wertheimer, ihren Schwestern Selma und Hermine sowie ihren Brüdern Ernst und Heinrich Wertheimer aus den Jahren zwischen 1937 und 1954 den Weg aus dem „Milwaukee Area Research Center“ in den USA nach Deutschland fand und einen Einblick in die familiären Beziehungen gibt.

Die persönlichen Briefwechsel sind von der gegenseitigen Anteilnahme an der Lebenssituation des jeweils anderen geprägt. Vordringlichstes Interesse der Korrespondenz aller Angehörigen galt der Suche nach Möglichkeiten den in Deutschland verbliebenen Verwandten bei der Ausreise behilflich zu sein. So bemühte sich Ernst Wertheimer, die Eltern Lina und Maier sowie den Bruder Heinrich nach Tel Aviv zu holen. Hermine Wertheimer war es 1937 gelungen, nach Johannesburg zu emigrieren, und sie begann unter äußerst einfachen Bedingungen ihr neues Leben dort, wozu sie selbst zunächst Hilfe benötigte.

 

Das Leben in den USA 

Die ersten beiden Jahre war Alfred Erlebacher als Aushilfskraft beschäftigt. 1939 erhielt er eine Festanstellung mit Tarifgehalt. In einem Brief vom 3. Juni 1939 äußerte er sich dazu: 
„Ich habe, sobald ich den Vertrag erhielt, den Schwiegereltern ein Affidavit geschickt um ihnen zu ermöglichen einen Antrag auf Einreiseerlaubnis nach Südafrica zu stellen. Leider läuft die Sache zu lange. Damals hätten wir sie glatt. So ist nicht gesagt, dass dort gehen wird, nur eben eine Hoffnung. Die Dinge hier liegen nämlich gar nicht rosig. Hier gibt es eine große Menge Juden und die Hälfte der nichtjüdischen weißen Bevölkerung ist teils weniger, als hauptsächlich mehr antisemitisch, man kann schon sagen nationalsozialistisch. Wie sich das politisch noch auswirkt, kann man ja nicht voraussagen. Vorläufig lässt man neuerdings auch alte Emigranten nur noch im Ausnahmefall herein und ich hoffe nur, dass wir nicht eines Tages unfreiwillig weiterwandern müssen“
Die Schilderung ihres neuen Lebensumfeldes zeigt deutlich nicht nur die beruflichen, finanziellen, sondern auch sozialen Schwierigkeiten auf, mit denen die Neuankömmlinge in der neuen Heimat zu kämpfen hatten. Sie ließen sich dennoch nicht entmutigen und eröffneten 1939 ein eigenes Geschäft, einen Fish & Chip Shop“, der ab 7.00 Uhr morgens bis 23.00 Uhr geöffnet hatte. Das Geld dafür hatte Alfred Erlebacher geliehen bekommen.

In einem Brief an seine Schwägerin Hermine in Johannesburg vom 28. November 1939 schrieb Alfred:

 

„Wenn es so geht, wie wir Grund haben zu erwarten, wird es uns in Zukunft besser gehen und wir werden Geld für die Familie übrig haben. In der Beziehung denken wir besonders an Selma. Weiß der Himmel, was ihr passieren wird, wenn sie in Deutschland bleibt. Sie hat das Affidavit nach Amerika, wie Ihr wisst, und bitte lauft Euch die Füße wund und redet euch den Mund papplich, dass Ihr sie vorzeitig, d.h. schleunigst herüberbekommt. Ihr seid die einzigen, die jetzt für die Laupheimer was tun könnt, denn sowohl Ernst als auch wir befinden uns nicht in neutralen Ländern. Wir können auch nicht nach Laupheim schreiben. Wir wollen Euch auch keine Briefe zur Weiterbeförderung schicken, sondern werden uns an das Rote Kreuz wenden, sobald wir die Zeit dazu finden. Bitte bestellt ihnen unsere Grüße und bekümmert euch um Selma“
(Erlebacher family Papers, 1937–1954. Milwaukee Small Collection 59.1 cubic ft., The Milwaukee Urban Archives)
In einem Brief vom 11. Januar 1939 hatte Selma ihre Aussichten auf eine Emigration wie folgt beschrieben:
„Es sind allein auf dem Stuttgarter Amerikanischen Konsulat so zwischen 45000 und 50000 teils Einzelpersonen, teils Familien registriert. Ich selbst habe eine Nummer zwischen 18 und 19000 und muss nach der jetzigen Berechnung circa 2 Jahre warten. Doch hoffen wir alle, dass doch noch eine Besserung eintritt. Und will ich sehen inzwischen in ein anderes Land zu kommen (England),doch ist es auch da maßlos schwer. Es warten auch hier wenn nicht 1000e von jungen Mädchen und Familien. Ihr habt doch keine Bekannte in England? Die einem eine Stelle dort vermitteln könnten?“
(Erlebacher family Papers, 1937–1954. Milwaukee Small Collection 59.1 cubic ft., The Milwaukee Urban Archives)

Die vielfältigen Bemühungen um die Schwiegereltern Lina und Maier Wert heimer sowie die geliebte Schwägerin und Tante Selma führten trotz bestehen- der bzw. erneuerter Affidavit nicht zum Erfolg, da weitere bürokratische Hürden nicht zu überwinden waren. Am 19. August 1942 wurden Lina und Maier Wertheimer von Laupheim aus nach Theresienstadt deportiert. Exakt von diesem Tag aus gelang es ihnen noch über das Rote Kreuz Alfred Erlebacher zu dessen 45. Geburtstag, den er am 10. August 1942 begangen hatte, Glückwünsche zu senden. Es war ihr letztes Lebenszeichen. (Siehe dazu Maier Wertheimer.) Wenige Monate nach ihrer Deportation starb Maier Wertheimer in Theresienstadt am 6. Januar 1943 und Lina im Monat darauf am 13. Februar 1943. Ihre Tochter Selma war am 23. August 1942 aus dem Sammellager vom Stuttgarter Killesberg nach Theresienstadt deportiert worden, von wo sie am 16. Mai 1944 ins KZ Auschwitz gebracht und dort ermordet wurde.

 

 

Albert Erlebacher, Professor em.

 

Alfred und Rosa Erlebacher blieben Zeit ihres Lebens mit ihren in alle Welt zerstreuten Verwandten in Kontakt. Ihr Sohn Albert absolvierte erfolgreich die Schule und schlug eine akademische Laufbahn ein. Ihm ist es zu verdanken, dass die Korrespondenz seiner Eltern archiviert wurde, zumal er als Ph. D. und emeritierter Professor an der Universität von Wisconsin mit den Schwerpunkten in Forschung und Lehre: Bürgerkrieg und Wiederaufbau tätig war. Alfred Erlebacher heiratete am 28. Juni 1961 Dolores Adler. Mit ihr hat er einen Sohn Seth Allen Samuel Erlebacher. Dr. Albert Erlebacher hatte gemeinsam mit seinem Sohn an der Einladung des Laupheimer Bürgermeisters Ottmar Schick im Jahr 1988 teilgenommen. Leider ist es im Zuge der Erstellung des Gedenkbuches nicht gelungen, jetzt erneut mit ihm in persönlichen Kontakt zu kommen.

 

Quellen:

Adreß- und Geschäfts-Handbuch für die Oberamtsstadt und die Bezirksgemeinden Laupheim. 1925. Erlebacher Family Papers, 1937–1954. Milwaukee Small Collection 59.1 cubic ft., The Milwaukee Urban Archives.

Hüttenmeister, Nathanja: Der Jüdische Friedhof Laupheim. Laupheim 1998. http://condor.depaul.edu.

Laupheimer Verkündiger 1928–1929.

Museum zur Geschichte von Christen und Juden Schloss Großlaupheim. Schenz, Georg: S. 288–289.

Stadtarchiv Laupheim.

Standesamt Laupheim. Familienregisterband V. S. 262.

Weil, Jonas: Verzeichnis von Kriegsteilnehmern der israelitischen Gemeinde Laupheim. Laupheim 1919. 

 

voriges Kapitel

zurück zur Gesamtauswahl

nächstes Kapitel