voriges Kapitel

zurück zur Gesamtauswahl

nächstes Kapitel

Die jüdische Gemeinde Laupheim und ihre Zerstörung

 Gedenkbuch Seiten 54 - 67

BERGMANN, J., & Co.,

Geschichte der Firma

KARL  NEIDLINGER

Die Bergmann-Erfolgsstory am Ende des 19. Jahrhunderts steht dem Aufstieg der Steiner-Familie in der ersten Hälfte des Jahrhunderts in keiner Weise nach. Passend zum Steinerschen Aufstieg – vom Schutzjuden zum Schlossherrn in einer Generation – könnte man bei Josef und Anton Bergmann sagen: Vom wandernden Färbergesellen zum weltweit agierenden Fabrikbesitzer – in einer Generation! Deswegen ist den Familiengeschichten hier, wie bei den Adler-Familien, eine Kurzdarstellung der Firmengeschichte vorangestellt.

Kapellenstraße 25 und 26: In der linken Haushälfte, heute Salon Scheffold,

begann 1873 die Bergmann-Erfolgsstory. Der Anbau ganz links war die zur

 Färberei umfunktionierte Backstube.

 

Josef Bergmann, der Firmengründer, wurde 1850 unter ärmlichen Umständen in einem 300-Seelen-Dorf namens Rowny in Südostböhmen geboren. Sein Vater Emanuel hatte als wandernder Händler unter anderem auch mit menschlichem Haar gehandelt. Josef, sein ältester Sohn, erlernte nach der Schulzeit den Beruf des Färbers und ging, wie es sich für einen Handwerksgesellen damals gehörte, nach der Lehre als Färber „auf die Walz“. Eine längere Zeit seiner Wanderschaft verbrachte er in Wien, wo er auch das Färben und Bleichen von menschlichem Haar erlernte.

Um das Jahr 1870 machte Josef in Krumbach/Schwaben Station, wo es eine große jüdische Gemeinde gab und wo er die Wirtsleute des jüdischen Gasthauses „Sonne“, Ismael und Klara Haas, kennenlernte. Diese hatten Verwandte auf dem Laupheimer Judenberg, den Bäcker Daniel M. Einstein, genannt „Beckadenile“, und seine Frau Fanny, geb. Haas. Von ihren insgesamt acht Kindern hatte nur die zweitjüngste Tochter Friedericke, genannt „Rickele“, das Erwachsenenalter erreicht. Beide Bäckersleute starben 1872/73 gut sechzigjährig kurz hintereinander. Ihrer einzigen Tochter hinterließen sie außer der Wohnung Judenberg 2“ nur sehr wenig, denn sie waren ebenfalls sehr arm gewesen.

Fünf Monate nach dem Tod des Vaters von Rickele, nachdem die Gemeinde die hinterbliebene Tochter zeitweise unterstützt hatte, heiratete Josef Bergmann im Mai 1874 bei Friedericke Einstein ein und übernahm die Wohnung auf dem Judenberg 2 (später in Kapellenstraße 26 umnummeriert). Vermutlich war die Verbindung durch Vermittlung der Krumbacher Verwandtschaft zustande gekommen. Noch viele Jahre später pflegte Josef Bergmann freundschaftliche Beziehungen zu jüdischen und christlichen Krumbacher Familien.

Josef Bergmann war allerdings schon vorher, 1872 oder 1873, nach Laupheim gekommen. Im August 1873 hatte er sein Gewerbe bei der Stadt angemeldet: Er kaufte unbearbeitetes, rohes Haar auf, bleichte, färbte und verfeinerte es, um es dann an Perückenmacher und für Haarteile weiter zu verkaufen. Rohes, geschnittenes menschliches Haar war damals vornehmlich in Polen und Russland zu bekommen. Daher musste Josef den Sommer über stets ausgedehnte Reisen absolvieren; in der kalten Jahreszeit fand die Veredelung und der Wiederverkauf der Produkte statt. Die kleine Backstube auf dem Judenberg wurde zur Färberei umgewandelt, offenbar ziemlich erfolgreich. Wahrscheinlich im Jahr 1877 nahm Josef Bergmann seinen jüngeren Bruder Anton, der bis dahin als Kellner in Wien gewesen war, als Teilhaber in sein Geschäft auf. In demselben Jahr, im März 1877, gab Josef Bergmann auch die abgedruckte Annonce im Laupheimer Verkündiger“ auf, mit der die ersten beiden von der Firma Bergmann geschaffenen Arbeitsplätze angeboten wurden.

Anton Bergmann lebte nach seiner Ankunft in Laupheim, die auf 1876/77 zu datieren ist, in der Wohnung seines Bruders im Haus Judenberg 2. In dem später in Kapellenstraße 25 und 26 umnummerierten Haus gab es vier verschiedene Wohnungen. Die benachbarte war von Judenberg-Adlers bewohnt, wie die Familie des Jakob Elias Adler auch genannt wurde, zur Unterscheidung von den nicht verwandten Kapellenstraßen-Adlers“. Jakob, genannt Kobbel“, war zum zweitenmal verheiratet, mit Rosalia, genannt Lala“. Er verdiente seinen Lebensunterhalt als Weber, und er war noch ärmer als die Nachbarn. Zwischen dem neuen Untermieter des Nachbarn und der 1861 geborenen Tochter Helene Adler, die aus der zweiten Ehe stammte, bahnte sich bald eine Beziehung an, deren Folgen sich Anton Bergmann durch eine Auswanderung nach Amerika zunächst aber zu entziehen gedachte. Doch sein älterer Bruder redete ihm das aus und half ihm, zu seiner Verantwortung als junger Vater zu stehen, indem er die Hochzeit Anton Bergmanns mit Helene Adler (Lina genannt) selbst bezahlte. Diese fand am 29. Juli 1878 statt und es war allerhöchste Zeit: Ihr gemeinsamer erster Sohn Marco erblickte am 10. August 1878 das Licht der Welt!

 

(„Laupheimer Verkündiger“ vom 27. 7. 1878)

Die Hereinnahme eines Partners ermöglichte eine Ausweitung des Aktionsradius der jungen Firma. Josef bereiste nun Böhmen, Galizien und die anderen Provinzen der Donaumonarchie, Antons Reiseziele waren die Schweiz und Bayern. Beide Familien lebten weiterhin in dem Haus auf dem Judenberg 2, und beide wurden fast jedes Jahr um ein Mitglied reicher. Bis 1890 hatten Josef und Rickele sieben Kinder, Anton und Lina fünf fast alle mit einem Geburtsdatum zwischen September und Januar! Denn spätestens nach Pesach, meist schon früher, brachen die Väter zu ihren Reisen auf, um erst im Herbst wieder zurückzukehren. Dann erst konnten die Mütter oft die Schulden begleichen, die sich den Sommer über beim Bäcker, Metzger oder dem Krämer angehäuft hattten, und dann kam auch meist ein Kind zur Welt.


Das erste noch erhaltene Foto von der Firma Bergmann aus dem Jahr 1889.

Die Belegschaft wird eingerahmt von den Inhabern: links sitzt Josef, ganz rechts Anton Bergmann.

 

Da die Geschäfte mit dem veredelten Haar gut liefen, wurde um 1890 zuerst der geruchsintensive Chemiebetrieb vom Judenberg ausgelagert. Weit außerhalb der Stadt, an der Straße nach Risstissen in der „Neuen Welt errichtete die Firma einen kleinen Chemieschuppen, in dem das Bleichen und Färben der Haare nun stattfand. Später wurde dieser Schuppen auf das Dach des Eingangsgebäudes der neuen Fabrikgebäude zur König-Wilhelm-Straße hin gestellt, als Erinnerung an die primitiven Anfänge. Im Jahr 1891 verließ die Familie Josef Bergmann vorübergehend die beengten Wohnverhältnisse auf dem Judenberg und zog ins Schloss Großlaupheim um, zur Miete bei der Familie von Steiner, aber ohne die alte Wohnung schon zu verkaufen. Drei Jahre später konnte ein großes Grundstück an der Ecke Radstraße/Schwanengässle erworben werden (der heutige Platz der Firma Feneberg), wo sogleich mit der Errichtung neuer Fabrikgebäude begonnen wurde. Da im Jahr 1897 Kilian von Steiner nach Laupheim zurückkehrte, benötigte er die Schlosswohnung wieder selbst, und so fiel der Entschluss, gleich auch ein neues, repräsentatives Wohngebäude für zwei Familien bei der Fabrik zu errichten: Das heute noch existierende Haus Radstraße 21 entstand, doch bis es bezugsfertig war, mussten Josef und Rickele mit ihren sieben Kindern vorübergehend nochmals auf den Judenberg 2 zurück. Nach dem Einzug der beiden Bergmann-Familien in der Radstraße wurden die Wohnungen auf dem Judenberg an den Friseur Anton Hermann verkauft.

August Schenzingers 1897 erschienene Beschreibung der Stadt Laupheim erwähnt auch die Firma Bergmann. Das folgende Zitat (S. 488) verrät, welche weiteren Betätigungsfelder inzwischen dazugekommen waren, und wie vielen Personen die beiden Unternehmer inzwischen Arbeit und Brot gaben:

„Die jüngste größere Fabrik ist das Haarartikel- und Friseur-Ausstattungs-Geschäft von den Gebrüdern Bergmann mit vier Reisenden. Dieses neue und schön erbaute Anwesen liegt in einem Garten der Radstraße, an welche mit der Zeit ein entsprechendes Wohnhaus angebaut werden wird. Hier werden alle irgend in das Haargeschäft einschlagenden Artikel gearbeitet und nicht nur die Männerwelt ohne Haare findet Perücken jeder Art, sondern auch die Frauen werden hier bezopft, je nach Wunsch und Belieben. Haarflechtereien finden sich in kleinsten wie in großen Dessins vor und was immer mit dem Kopfhaare oder Barthaare in Beziehung gebracht werden kann, findet sich auf Lager. Haarwäscherei, Haarspalterei und Haarfärberei – alles wird hier im Großen betrieben. Ebenso befasst sich dieses sehr renommierte Geschäft mit gar allen Toilettengegenständen, wie solche namentlich in Friseurgeschäften Verwendung finden. Da derartige Fabrikationen selten sind, werden die Produkte nach allen Himmelsgegenden verlangt. Speziell für das eigentliche Haargeschäft arbeiten etwa 30–40 Mädchen unter einigen männlichen Vorarbeitern und Friseurkünstlern.“

Die Firma Bergmann von der König-Wilhelm-Straße her gesehen.


Aus zwei Gründen kam die riesige Investition genau zum richtigen Zeitpunkt und machte sich in kürzester Zeit bezahlt. Zum einen setzte sich in der Damenwelt gerade die Mode durch, ein Haarnetz zu tragen, und die Firma Bergmann war mit den neuen Produktionsstätten problemlos in der Lage, die rasch wachsende Nachfrage nach Haarnetzen zu befriedigen. Der Markenartikel aus Laupheim

„Das Netz mit der Spinne“ beherrschte den Markt bis nach dem Ersten Weltkrieg. Der zweite, wichtigere Grund war, dass Bergmann & Co. aus der imperialistischen Weltpolitik der Jahrhundertwende einen ganz unverhofften Vorteil gewinnen konnte. China musste sich gerade dem Vormachtstreben der europäischen Mächte beugen und auch das Deutsche Reich versuchte bekanntlich, dort F zuassen. Der europäische Einfluss dort stieg, und eine für Bergmann entscheidende Folge war, dass immer mehr Chinesen sich ihre langen Zöpfe abschneiden ließen, weil sie sich europäischen Modetrends anpassten. Das für Bergmann & Co. geradezu ideale Resultat: Unbearbeitetes menschliches Haar von bester Qualität, die Rohstoffbasis der Firma, gab es dank der Europäisierung des „Reichs der Mitte“, dank zahlloser abgeschnittener Chinesenzöpfe lange Zeit im Überangebot zu immer billigeren Preisen!

Auf ihrem Erfolgsweg gingen die beiden Unternehmer noch einen zukunftsweisenden Schritt weiter. Das in Laupheim veredelte chine- sische Haar, das zur Netzherstellung besonders geeignet war, wurde bald nicht mehr in Laupheim zu Netzen geknüpft, sondern ging zu diesem Zweck zum Teil wieder zurück nach China, ohne dass es jedesmal verzollt werden musste. Denn Chinesinnen schafften es, deutlich mehr Haarnetze in derselben Zeit zu knüpfen als deutsche Arbeiterinnen, und das zu einem Bruchteil der deutschen Löhne! Die Globalisierung hielt also schon um 1900 Einzug in Laupheim und der Jahrhundertbeginn sah Josef und Anton Bergmann als frühe „global players“!

Es scheint fast nichts, was mit Haaren im weitesten Sinn zusammenhing, gegeben zu haben, was sich nicht im Sortiment der Firma finden ließ. Obwohl mit Haarteilen nun wirklich kein Krieg zu gewinnen ist, profitierte Bergmann & Co. sogar von dem Wettrüsten vor dem Ersten Weltkrieg ein wenig. Denn in Laupheim wurden auch die Helmbüsche hergestellt, die im preußisch-deutschen Heer bis 1914 fester Bestandteil der Paradeuniformen vieler Einheiten waren. Und angesichts mehrerer Heeresvergrößerungen stieg auch die Nachfrage nach bunten Helmbüschen aus Rosshaar gewaltig...

Neben der Vergrößerung des Fabrikareals an der Radstraße wurden vor dem Ersten Weltkrieg auch zwei Zweigwerke errichtet, eines in Chotebor/Böhmen, ganz in der Nähe des Geburtsorts der Firmengründer, und eines in Braunau/Inn. Letzteres florierte allerdings nicht und wurde bald wieder aufgegeben, das Werk Chotebor dagegen wurde zu einem wichtigen Standbein der Firma in Österreich-Ungarn, denn die böhmische Verwandtschaft der Familie war dort ebenfalls im Haargeschäft tätig.

Auch die Nachfolgefrage in der Firmenleitung wurde rechtzeitig angegangen. Es wurde vereinbart, dass von jeder Familie nur zwei Söhne oder Schwiegersöhne als bevollmächtigte Partner einsteigen durften. Aus Antons Familie waren das Marco und Edwin, aus Josefs Familie Theodor und Max. Alle wurden aber erst, nachdem sie verheiratet waren, zwischen 1907 und 1910 in die Firmenleitung aufgenom- men. Das war keinesfalls zu früh, denn Anton Bergmann starb bereits 1912 mit nur 58 Jahren.

Der Ausbruch des I. Weltkriegs beendete die Jahrzehnte lange Aufwärtsentwicklung abrupt. Auf den Boom bis 1914 folgte eine lange Phase der Rezession und es sollte aber dies gilt allgemein danach nie mehr so werden wie vor dem Krieg.

 

 

Erster Weltkrieg: Soldaten aus der Bergmann-Familie, 1915/1916. Von links: Marco Bergmann, damals als Kraftfahrer eingesetzt, und seine Frau Elsa, geb. Oppenheim. Leopold Wallersteiner (Ulm), damals Rekrutenausbilder, und Frau Elsa, geb. Bergmann. Paula und Edwin Bergmann, beim Ballon-Abwehrkommando.
(Foto-Archiv: Ernst Schäll, Laupheim)

 

Schon am 3. August 1914 rückte Willy Bergmann, der jüngste Sohn Josefs, als Reservist ein, und Karl Bergmann, noch zu jung für die Wehrpflicht, meldete sich am selben Tag freiwillig zum Kriegsdienst. Beide machten den ganzen Krieg an vorderster Front mit, wurden mehrfach verwundet und ausgezeichnet, Karl schlug später die Offizierslaufbahn ein und wurde Leutnant. 1915 wurden Marco, Max und Edwin eingezogen, so dass nur noch Theodor und der Großvater in der Firmenleitung tätig waren.

 

 

 Willy Bergmann, Unteroffizier, 1918 in Mazedonien.

Karl Bergmann, Kriegsfreiwilliger und Leutnant der Reserve.

 

Die weltweiten Beziehungen der Firma brachen weitgehend ab; sie galt nicht als kriegswichtig und konnte kaum für Kriegszwecke umgeformt werden. So wurde das Geschäft in reduzierter Form weitergeführt. Ein Ersatzprodukt, das die Firma herstellen konnte und mit dem kriegswichtiges Leder eingespart werden sollte, fiel den Planern des ersten totalen Krieges der Geschichte aber doch ein: Es wurden Transmissionsriemen aus Haar gefertigt, um solche aus Leder zu ersetzen!

Sicherlich bedeutsamer war das ehrenamtliche Engagement der Firma und ihrer Teilhaber für die nationale Sache, um zu einem erfolgreichen Kriegsausgang beizutragen. Schon im August 1914 bildete sich in Laupheim einFrauen-Ausschuss für Liebesgaben“, welcher Geschenke für die Frontsoldaten sammelte und weiterleitete. Warme Unterwäsche, Tabak, Lebens- und Genussmittel, einfach alles, wovon man annahm, dass Soldaten im Feld es gebrauchen könnten, sammelte dieser Ausschuss, und die Sammelstelle war die Bergmannsche Fabrik in der König-Wilhelm-Straße, wie die abgebildete Annonce aus dem Laupheimer Verkündiger“ vom 25. 8. 1914 zeigt.

 

Auf Initiative von Stadtschultheiß Schick und Gemeinderat Max Bergmann wurden ab November 1914 in der Zeitung regelmäßig Listen mit allen Laupheimer Soldaten veröffentlicht, um später einmal eine Kriegs-Ortschronik aller Teilnehmer anlegen zu können. Fehlte ein Name oder ein Zeitungsleser bemerkte einen anderen Fehler, dann waren die Korrekturen zu diesen Listen nicht auf dem Rathaus, sondern beim Portier der Bergmannschen Firma abzugeben.

Der Seniorchef Josef Bergmann investierte einen großen Teil seines flüssigen Vermögens in Kriegsanleihen und machte mehrere große Spenden und Stiftungen, um so zu einem erfolgreichen Kriegsausgang beizutragen. Auch die österreichisch-ungarische Armee wurde damit bedacht. Von Kaiser Franz Josef erhielt er deshalb 1916 die silberne Ehrenmedaille des Roten Kreuzes und vom württembergischen König Wilhelm im selben Jahr das Charlottenkreuz.

Glücklicherweise kehrten nach Kriegsende alle Soldaten der beiden Bergmann- Familien wieder zurück. Wirtschaftlich ging es danach nur langsam wieder auf- wärts. Bis die chinesischen Quellen wieder zur Verfügung standen, dauerte es und ein neuer Modetrend ließ den Haarnetz-Absatz sinken: Damen, die jetzt „in sein wollten, legten sich eine Bubikopf-Frisur zu und benötigten das altmodische Teil nicht mehr. Natürlich verweigerten sich alle Frauen der Bergmann-Familie aber die Töchter schon nicht mehr diesem Trend!

Im November 1922 starb73-jährig Firmengründer Josef Bergmann, zwei Jahre danach seine Frau Friedericke. Mitbedingt durch die gewaltige Inflation gab es um sein privates Erbe heftigeren Streit unter den Kindern, bei dem der neue „Seniorchef Theodor und seine Frau Thekla keine glückliche Rolle spielten. Die anlässlich des Todes des Seniorchefs von den Hinterbliebenen zu seinem Gedenken eingerichtete gemeinnützige Stiftung war in kürzester Zeit durch die galoppierende Inflation entwertet. Weitere Schicksalsschläge kamen hinzu: Tochter Flora, verheiratete Stern, starb 1924 mit 46 Jahren, der jüngste Sohn Willy kam 1925 bei einem Autounfall ums Leben und 1928 starb Hugo Hofheimer, der Gatte der Tochter Klara.

 

Die Mitte der 20er Jahre brachte einen leichten Aufschwung, es wurde das Gelände zwischen Schwanengasse und König-Wilhelm-Straße aufgekauft, der erste Lkw angeschafft und der Pferdestall zur Garage umgebaut. Bergmann, in- zwischen zur KG umgewandelt, behauptete weiterhin seinen Spitzenplatz bei Haarprodukten. Der württembergische Staatssekretär für Wirtschaft, Reinhold Maier, bescheinigte dem Unternehmen, zu den wichtigsten exportorientierten Firmen des Landes zu gehören. Der größte Arbeitgeber in Laupheim war damals die Firma Bergmann.

 

Doch die 1929 einsetzende Weltwirtschaftskrise ließ auch hier die Umsätze gewaltig zurückgehen: Im Jahr 1932 erreichte die Bergmann KG nur noch die Hälfte des Umsatzes von 1927, dem letzten guten Jahr! Dennoch hat die Firma als einziges Laupheimer Unternehmen während der Depression keine Beschäftigten entlassen.

Um die sinkenden Umsätze im Fabrikgeschäft aufzufangen, wurde ab 1929 verstärkt mit Haarkosmetik- und Färbeprodukten für lebendes Haar experimentiert, wozu ein Chemielabor eingerichtet und ein Chemiker eingestellt wurde.

Ein Hauptgrund, weshalb Hitler 1933 an die Macht kam, war die desolate wirtschaftliche Lage in Deutschland und sein Versprechen, dies schnell zu ändern. Daher konnten Großbetriebe wie Bergmann, die zahlreiche Arbeitsplätze boten, in den ersten Jahren noch ohne größere Probleme weiterarbeiten, denn die Arbeitslosigkeit wäre durch Maßnahmen gegen sie noch mehr verschärft worden. Im Jahr 1933 war Bergmann mit etwa 150 Beschäftigten der größte Arbeitgeber im Oberamt Laupheim sowie in der Stadt und zahlte die meisten Steuern. Vor den Werkstoren standen am 1. April 1933 keine SA-Posten: Der Boykott richtete sich mehr gegen den Einzelhandel. Die internationale Verflechtung der Firma schützte sie anfangs wohl auch vor zu großem Druck der Machthaber. Dies alles führte dazu, dass die durch die Nazis drohende Gefahr von den vier Geschäftsführern anfangs unterschätzt wurde. Doch damit waren sie nicht allein. Nicht nur sie hofften anfangs, der Spuk würde bald wieder vorüber gehen: Gebt Hitler genug Leine und er hängt sich selbst auf “, ist eine von Theodor Bergmann überlieferte Fehleinschätzung. Zudem waren die vier unter sich uneinig und die Kooperation litt darunter.

Der Druck wurde größer, als der fanatische Nazi und Judenhasser Marxer 1935 Bürgermeister wurde. NS-Sympathisanten unter der Belegschaft spionierten die Firma im Auftrag der Partei aus und hängten den Inhabern erfundene Devisenvergehen und Ähnliches an. Sie sabotierten den Betrieb, indem sie beispielsweise die Namen von Geschäftspartnern dem „Stürmer“ weitergaben, wo diese dann als Judenfreunde denunziert wurden. Jahr für Jahr sanken die Umsätze und 1937 flüchteten Marco und Theodor in einer nicht koordinierten Aktion ins Ausland. Marco floh mit einem Besuchervisum in die USA, Theodor setzte sich mit un- vollständigen Papieren nach Liechtenstein ab, was die Überwachung der beiden zurückgebliebenen Partner weiter verschärfte und ihre Lage verschlechterte.

Seit 1937 gab es Überlegungen und Verhandlungen, die Firma an die beiden leitenden Angestellten Beck und Würstle zu verkaufen, obwohl die Zwangsarisierung noch nicht Gesetz war. Im Juli 1937 wurde der Buchhalter Fritz Beck als Kontaktmann zu den staatlichen Behörden in die Geschäftsleitung aufgenommen. Sehr interessiert war auch Otto Miller, ebenfalls ein leitender Angestellter und seit über 30 Jahren in der Firma tätig. Doch das Vertrauen der Inhaber zu ihm war zerstört, seit er NSDAP-Mitglied und stellvertretender Ortsgruppenleiter geworden war. Sie vermuteten zudem in Miller das wichtigste Nazi-U-Boot in der Firma, über das die Partei Firmeninterna zugeleitet bekam, und wollten ihn deswegen auf keinen Fall beteiligen.

Doch Beck und Würstle erhielten nicht die Genehmigung der Machthaber. Sie wurden, als es dann so weit war, mit je 18 Prozent Anteilen abgefunden, ebenso viel erhielt Otto Miller und ein alter Kumpel des Bürgermeisters Marxer, ein Biberacher Molkereibesitzer namens Fischbach, der vom Haargeschäft keine Ahnung hatte, bekam mit 46 Prozent Anteilen den größten Teil der Firma Bergmann. Doch bis der Verkauf im März 1939 schließlich genehmigt und unterschrieben war, sank der Preis von ursprünglich 249 000 RM auf 27 500 RM. Nach der Pogromnacht 1938 waren drei der Inhaber, Theodor, Max und Edwin, wo- chenlang in Dachau eingekerkert, kehrten gebrochen und krank wieder zurück, sie wollten danach nur noch ihr Leben retten und heraus aus Deutschland. Theodor war kurz vor der Verschleppung nach Dachau freiwillig zurückgekehrt, weil die Nazis ihm finanzielle Vorteile bei der späteren Auswanderung versprochen hatten. Doch eingehalten wurde davon natürlich nichts, die Rückkehr nach Deutschland brachte ihm drei Wochen KZ und infolge dessen eine ruinierte Gesundheit ein. Obwohl noch nicht endgültig verkauft, prangte nach der Entlassung der drei Eigentümer aus Dachau als letzter wurde Max am 14. Dezember 1938 entlassen schon ein neuer Name am Fabriktor: Nicht mehr Bergmann KG, sondern Württembergische Haarfabrik Fischbach & Co.“ hieß sie jetzt. Die drei immer noch rechtmäßigen Eigentümer durften ihre Firma nicht mehr betreten.

Edwin Bergmann und seine Familie konnten am 9. Februar 1939 nach England flüchten und später in die USA emigrieren, Theodor folgte am 18. März und Max, der den Verkauf am 20. März allein unterschrieb, erhielt vier Tage danach als letzter die Genehmigung zur Ausreise. Von den deutschen Behörden mit diversen Sondersteuern um den letzten Pfennig gebracht, kamen die einst reichen Unter- nehmer, bis auf den schon früher geflohenen Marco, mittellos in Amerika an. Die Restitutionsverhandlungen nach dem Krieg erlebten nur noch zwei der vier Teilhaber. Theodor starb schon 1941 und sein Bruder Edwin 1947, zu dieser Zeit begannen die Gespräche und Verhandlungen zur Restitution erst. Es stand zur Debatte, ob die Firma an die Familie komplett zurückzugeben sei oder die neuen Eigner mit einbezogen werden sollten. Auch Marco und Max waren gesundheitlich sehr angeschlagen und die Kooperation mit Thekla, der Witwe Theodors, gestal- tete sich sehr schwierig. Die meisten Söhne hatten inzwischen in anderen Berufen und Branchen F gefasst. Doch immerhin konnte man sich darauf einigen, dass eine mögliche Kooperation oder gar Partnerschaft mit Miller von vorneherein de- finitiv ausschied. Mit Fischbach als Partner in die Zukunft zu planen wäre man eher bereit gewesen, zu ihm war das Verhältnis offenbar nicht so zerrüttet. Doch dieser war seinerseits nicht bereit, sich von Miller als Partner zu trennen. So schied ein gemeinsamer Weg in die Zukunft bald aus. Die Restitutionskammern und die Gerichte waren gefragt. Auch hier wurde, wie vor dem Krieg, wieder mit harten Bandagen und Intrigen gekämpft. Der Rechtsweg nahm viel Zeit in Anspruch, doch die alten Eigentümer konnten sich vollständig durchsetzen.

Zum 31. Dezember 1948 entschied die Restitutionskammer Ravensburg, dass die Firma und alle Rechte an die früheren Besitzer zurückzugeben sei und annullierte den Kaufvertrag von 1939. In einem erneuten Spruch vom 7. Oktober 1949 wurden die Einwände von Fischbach & Miller zurückgewiesen und das Urteil noch ein drittes und viertes Mal von den Berufungsinstanzen in Tübingen im Januar 1951 und in Rastatt im Oktober 1951 bestätigt.

Als die Ravensburger Restitutionskammer im Dezember 1952 eine Entschädi- gungszahlung von 22 000 DM von Fischbach & Miller an Bergmann festlegte, hatte keiner der früheren vier Partner mehr etwas davon: Marco war im Juni 1952 bei einem Autounfall zwischen Ulm und Laupheim ums Leben gekommen, und Max, krank vor Heimweh nach Laupheim, war am 1. August desselben Jahres in den USA gestorben.

Schon während der aussichtslosen Gerichtsverhandlungen hatten Fischbach & Miller eine andere Firma an der Ulmer Straße aufgemacht, die sie „Süddeutsche Haarveredelung“ nannten, für die sie Personal, Know-how und anderes von der Firma Bergmann abwarben. Die neue Firma Bergmann ging dann an die Nachkommen Marco Bergmanns über, die anderen Familien waren nicht mehr beteiligt. Im Jahr 1954 ging sie eine Partnerschaft mit der Firma Freund ein und siedelte später in das neue Industriegebiet am Stadtbahnhof um. Die neuen Eigentümer blieben aber alle in den USA. Im Jahr 1975 wurden die alten Fabrikanlagen an der Ecke Radstraße/König-Wilhelm-Straße bis auf das heute noch existierende Wohngebäude abgebrochen und ein Lebensmittel-Markt an ihrer Stelle errichtet.

 

Quellen:

 

1. John Bergmann, The Bergmanns from Laupheim, 1983.

2. August Schenzinger: Laupheim, 1897, Nachdruck 1987.

3. Annoncen aus dem Laupheimer Verkündiger“.

Fotos: aktuelle Fotos K.N., Fotoarchiv Ernst Schäll, Fotoarchiv Theo Miller.

 

voriges Kapitel

zurück zur Gesamtauswahl

nächstes Kapitel