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Die jüdische Gemeinde Laupheim und ihre Zerstörung

Gedenkbuch Seiten 22 - 28

ADLER, Edmund,

Kapellenstraße 44

 

KARL NEIDLINGER

Edmund Adler, geb. 10.7.1876 in Laupheim, (zweiter Sohn aus der zweiten Ehe Isidor Adlers), ermordet 1942 in Treblinka, OO Mathilde, geb. Netter, geb. 22.9.1877 in Göppingen, gest. 17.9.1935 in Laupheim.   
 Charlotte Adler, geb. 3.3.1911 in Laupheim, Kindergärtnerin, am 19.4.1939 nach Manchester/England emigriert, 1942 gestorben.
 Elisabeth (Liesel) Adler, geb. 30.10.1913 in Laupheim, Damenschneiderin, emigriert am 27.1.1939 nach Keston/England, gestorben am 28.03.2014 in London, beerdigt in Laupheim.
 Irene Adler, geb. 26.3.1916 in Laupheim, Haustochter, 1935 nach Göppingen gezogen, im Mai 1939 nach England emigriert. 



Mathilde und Edmund Adler um 1909
(Archiv Ernst
Schäll)

Dank der regelmäßigen Besuche Liesel Adlers in ihrer alten Heimat ist die Quellenlage zu ihrer Person und ihrer Familie nicht ganz schlecht. Doch ihr Alter und ihr Gesundheitszustand ließen in den letzten Jahren Reisen nicht mehr zu. Daher konnten nur zwei schon früher geführte Interviews aus den 90er Jahren ausgewertet werden und ihre Fotos, die sie Ernst Schäll überlassen hat.

Das erste zeigt die Eltern Edmund und Mathilde bei ihrer Hochzeit im Jahr 1909. Mathilde Netter entstammte einer wohlhabenden jüdischen Familie aus Göppingen. Über Edmunds beruflichen Werdegang ist nichts bekannt. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 1916 war er zusammen mit seinem älteren Bruder Jakob Mitinhaber der elterlichen Firma. Im Ersten Weltkrieg wurde er trotz seines schon fortgeschrittenen Alters von 40 Jahren noch als Soldat eingezogen, musste aber nicht mehr an die Front, sondern versah den Dienst in der Etappe in Münsingen, wo er im Beschaffungsamt tätig war.

Die Familie Edmund Adler wohnte im ersten Stock in der Kapellenstraße 44. Von den drei Kindern war die jüngste, die 1916 geborene Irene „nicht ganz gesund“, sie litt unter Epilepsie. Um die Mutter zu entlasten und da im Haus ihrer Eltern in Göppingen viel Platz war sowie eine unverheiratete Schwester dort wohnen blieb, verbrachte ab den 20er Jahren immer eine der älteren Töchter in Göppingen die Schulzeit. So ging auch Liesel Adler von 1920–1927 dort zur Schule. Wenn sie in den Ferien heimkam, wurde sie regelmäßig veräppelt, sie spreche „evangelisch- göppingerisch statt katholisch-laupheimerisch“! Nach 1927 absolvierte die ältere Schwester Charlotte ihre Berufsausbildung in Göppingen, später in Berlin. Nach dem Tod der Mutter 1935 zog die jüngste Tochter Irene ganz nach Göppingen.

Die traditionelle jüdische Lebensweise  und die Beachtung der diversen Vorschriften hatten die Adler-Familien in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts schon weitgehend aufgegeben. Sie waren fast völlig assimiliert und hatten zu christlichen Familien aus ihrer gesellschaftlichen Schicht mehr Kontakte als etwa zu ärmeren jüdischen Familien. Edmund Adlers Familie machte da keine Ausnahme. Das einzige erhaltene Foto aus ihrer Kindheit zeigt Liesel Adler mit den Kindern der Familie Bühler einer christlichen Familie, zu der freundschaftliche  Kontakte vorhanden waren. Die jüdischen Speisevorschriften wurden nicht mehr beachtet; nicht der Samstag, sondern der Sonntag war der wöchentliche Feier- und Ruhetag. Die damals aufgekommene, selbstironische Bezeichnung „Dreitagesjuden fand Liesel Adler zutreffend, denn zur Synagoge gingen sie und ihre Schwestern höchstens noch dreimal im Jahr: zu Neujahr (Rosch Haschana), Yom Kippur (Versöhnungsfest) und vielleicht noch an Pessach. Hebräisch hatten sie nicht mehr gelernt und daher fanden sie es in der Synagoge immer schrecklich langweilig. Viel schöner und feierlicher empfand Liesel Adler Festgottesdienste an katholischen Feiertagen in St. Peter und Paul mit Weihrauch und Blumen, zu denen sie von einer befreundeten christlichen Hausangestellten gelegentlich mitgenommen wurde. „Meine ganze Familie fühlte sich als Deutsche und freijüdisch.“


 Liesel Adler (rechts, mit Haarschleife) mit  den Kindern der Familie Bühler, 1922.

Von links: Trude, Walter, Fritz Bühler, Liesel Adler, Ulrich Bühler.

(Archiv Ernst Schäll)

Hintere Reihe von links: Bertha Netter, Fritz Bühler auf dem Arm von Frida Bühler, geb. Netter,

Carl Bühler, Mathilde Adler, geb. Netter, vordere Reihe von links: Liesel Adler,

Gertrud Bühler, Max Ulrich Bühler, dahinter Walter Bühler, Lotte Adler und Irene Adler.

Nach der Rückkehr nach Laupheim besuchte Liesel Adler noch zwei Jahre die Latein- und Realschule und legte dort 1929 die Mittlere Reife ab. Dann waren die schulischen Möglichkeiten in Laupheim ausgereizt und es ging in Ulm auf der Oberrealschule weiter bis zum Abitur 1932. Liesel Adlers etwa gleich alte Freundinnen waren unter anderen Klärle Einstein vom Kaufhaus D. M. Einstein und Gretel Bergmann, mit der sie zwei Jahre gemeinsam nach Ulm zur Schule fuhr.

 

Keine Berührungsängste zwischen Christen und Juden:

März 1929: Der Mittlere-Reihe-Jahrgang 1929 im Schlosspark.

Von links: Hyneck, Sally Wallach. Walser, Liesel Adler, Stetter, Steinle, S. Schmid 



Gretel Bergmann und Liesel Adler in der Höhenanlage 1931

(Archiv Ernst Schäll)

Nach dem Abitur war Liesel Adler zunächst unschlüssig, welche berufliche Richtung sie einschlagen sollte. Mit der Aufnahmeprüfung auf eine Dolmetscherschule klappte es nicht, so dass sie schließlich für ein halbes Jahr nach Berlin ging und dort einen Haushaltungskurs für Abiturientinnen belegte. In der Hauptstadt gewöhnte sie sich schnell ein und genoss das kulturelle Angebot der Metropole, doch dann, noch vor sie sich irgendwie festgelegt hatte, kam der 30. Januar 1933 und alles war anders.

Familie Edmund Adler 1933. Das war das letzte gemeinsame Foto der ganzen Familie.

V. l.: Bertha Netter, Lotte, Mathilde, Liesel, Edmund, Irene Adler.(Archiv Ernst Schäll)

 

Im Sommer 1933 kam sie wieder zurück nach Laupheim, denn an einer Universität sich zu immatrikulieren, war für Juden nicht mehr möglich. Im Oktober erlitt die Mutter einen ersten Schlaganfall, sie wurde vorübergehend zum Pflegefall und nun in Göppingen von der Schwester versorgt, so wie früher ihre Töchter. Liesel Adler begann eine Ausbildung zur Näherin und Damenschneiderin, zuerst in Laupheim bei katholischen Ordensschwestern, dann in Ulm bei der noch jüdischen Firma Bernheimer. „Ich war nie glücklich mit der Schneiderei, aber wenn du mal auswandern musst, sagte man mir, dann musst du ein Handwerk können . . .“ Doch bis zum Jahr 1938 war Emigration für keine der drei Schwestern ein Thema.

Das Jahr 1935 verlief für die Familie Adler besonders katastrophal. Zunächst erlitt die Mutter Mathilde, die wieder in Laupheim war, am Tag nach der Verkündigung der Nürnberger Gesetze im September einen zweiten, tödlichen Schlaganfall. Sie war von einer Beerdigung heimgekommen und äußerte deprimiert: „Ich wollt’, ich wär auch schon da drunten“, und in der Nacht starb sie dann. Im Dezember beging Onkel Jakob Adler in einem Akt der Verzweiflung Selbstmord. Näheres dazu im übernächsten Abschnitt. „Er war mein Lieblingsonkel. Ein so gescheiter und humorvoller Mann. Ich sollte es nicht sagen . . . aber manchmal dachte ich: Ich wollt, du wärst mein Vater.“ Wie sich dies alles auf die Firma auswirkte und wer ihren Vater Edmund bei der Leitung nun unterstützte, ist nicht bekannt.

Auch bei Liesel Adler lief es beruflich nicht gut. Sie konnte zwar 1937 die Gesellenprüfung als Damenschneiderin ablegen, arbeitete jedoch nur kurze Zeit in diesem Beruf. „Ich hasste die Schneiderei, ich war immer zu langsam.“ 1938 ging sie nach Frankfurt auf eine orthodoxe jüdische Haushaltungsschule, wo auch wieder vieles schief ging, da sie ja von jüdischen Speisegesetzen keine Ahnung hatte.

Einmal verwechselte sie milchiges  und  fleischiges Geschirr und es sollte schon die halbe Küche deswegen auf ihre Kosten ausgetauscht werden bis sie einen Rabbiner fand, der wusste, mit welchen Gebeten und Handlungen die Küche wieder koscher gemacht werden konnte. Am Tag vor der Pogromnacht wurde die Frankfurter Schule von der SS einfach geschlossen und Schüler wie Lehrer auf die Straße gesetzt. So fuhr sie dann nachts nach Göppingen, wo sie am Morgen von ihrer Schwester Irene erfahren musste, dass  Vater Edmund in Laupheim von der SA abgeholt und ins KZ Dachau verschleppt worden war. Tags darauf fuhren die beiden dann auch nach Laupheim.

 


Jakob Adler mit seinen Nichten Irene (links) und Liesel, um 1932.

Im Hintergrund Garagen und Lagergebäude der Firma. (Archiv Ernst Schäll)

 

Die Schwester Lotte war als einzige neben Edmund Adler in der Pogromnacht zu Hause gewesen. Sie hatte versucht, die eindringenden SA-Leute davon abzuhalten, ihren Vater Edmund aus dem Bett zu ziehen und mitzunehmen. Wenn Sie Ihre Gosch nicht halten, kommen Sie auch noch mit!“, drohten diese, doch Lotte ging dann freiwillig mit, um ihrem Vater beizustehen. Vor der brennenden Synagoge musste sie dann mit ansehen, wie die festgenommenen Männer von den SA-Leuten gedemütigt wurden: „Die mussten hinknien und vor der verbrannten Synagoge sagen: ,Wir sind Abschaum'.“

Bis dahin hatte noch niemand in der Familie etwas für eine Emigration getan, doch jetzt gab es nur noch eines: Möglichst schnell weg aus Deutschland! Da die Nachbarländer und auch die USA ihre restriktiven Einwanderungsbestimmungen trotzdem nicht lockerten, stieß eine Auswanderung auf große Schwierigkeiten. Eine ehemalige Mitschülerin aus Frankfurt gab Liesel den Tipp, dass in Großbritannien billige Haushaltshilfen oder Erzieherinnen gesucht würden, und sie erhielt von ihr auch eine Londoner Adresse. Sofort bewarb sie sich dort, bekam dann aber von einer anderen Familie eine Zusage, sie als Haushaltshilfe einzustellen. So war sie mit viel Glück die erste der drei Schwestern, die aus Deutschland emigrieren konnte.

Am 2. Februar 1939 verabschiedete sie sich auf dem Ulmer Bahnhof von ihrem Vater, um nach London zu emigrieren. Nachdem sie in Stuttgart noch einen Zwischenstopp eingelegt hatte, um verschiedene Formalitäten zu erledigen, war Vater Edmund überraschend am nächsten Tag dort auch auf dem Bahnsteig, um sich mit düsteren Vorahnungen nochmals zu verabschieden: Vielleicht sehe ich dich nicht mehr!“ Im April 1939 konnte dann die ältere Schwester Lotte und im Mai auch Irene nach  Großbritannien emigrieren. Lotte starb dort aber schon im Jahr 1942.

Edmund Adler schaffte es nicht mehr aus Deutschland zu emigrieren. 1940 musste er sein Haus in der Kapellenstraße verlassen und wurde mit vielen anderen in das ehemalige Rabbinat zwangsumquartiert. Seit Kriegsbeginn war ein direkter Kontakt mit den Töchtern in England nicht mehr möglich, nur über Verwandte im neutralen Basel konnten noch Nachrichten ausgetauscht werden. Zusammen mit 43 anderen hochbetagten Laupheimer Frauen und Männern wurde er am 19. August 1942 nach Theresienstadt deportiert. Seiner früheren Nachbarin Katharina Halder gegenüber hatte er einige Zeit vorher geäußert, dass er sich Gift besorgt habe für den Fall der Deportation, „denn von denen lasse ich mich nicht umbringen“. Am Tag vor der Verschleppung schickte er an seine Töchter noch eine Karte ab: Gott sei Dank wird uns das Rote Kreuz morgen nach Schweden bringen.“ Er kam aber in Theresienstadt an und lebte bis zum 26. 9. 1942 in dem völlig überfüllten KZ. Dann wurde er für einen Weitertransport nach Treblinka eingeteilt und dort in der Gaskammer ermordet.


Lotte und Irene Adler 1939 in England.

(Archiv Ernst Schäll)


Liesel Adler blieb nach dem Krieg in Großbritannien und lebt bis heute in der Nähe von London.( Nachtrag: Sie verstrarb am 28. März 2014) Sie nahm schon früh wieder Kontakte zu Laupheim auf und kam bis vor kurzem regelmäßig fast jedes Jahr zu Besuch. Nun lässt ihr hohes Alter die Reisen nicht mehr zu. Das Foto von 1966 zeigt sie mit ihrer früheren Nachbarin Katharina Halder in der Kapellenstraße. Die Bäckerei Halder war für zahlreiche jüdische Besucher in der Nachkriegszeit eine der ersten Anlaufstellen in Laupheim, denn von der Familie Halder hatten nicht nur Adlers bis zum Schluss Hilfe und Unterstützung erhalten.

Auch als die Laupheimer Realschule im Jahr 1995 den Namen Friedrich-Adler- Realschule“ erhielt, war Liesel Adler als einzige Familienangehörige mit dabei.

     
1966: Liesel Adler zu Besuch bei Katharina Halder 1996: Liesel Adler und Ernst Schäll am Grabstein von Isidor Adlers erster Frau Henriette


Nachtrag:

Liesel Adler verstarb am 28. März 2014 in London. Sie wollte in ihrem geliebten Laupheim die letzte Ruhe finden. So wurde sie im Grab ihrer Eltern in Laupheim auch bestattet.

 

 

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